Corona-Welle an den Schulen

Faktencheck zum «TalkTäglich» vom 09.12.2021 mit Silvia Steiner, Regierungsrätin Kanton Zürich

Anmerkung der Redaktion: Die wesentlichen Aussagen aus dem Interview sind hier in Schriftsprache sinngleich wiedergegeben und wurden mit Kommentaren und Faktenchecks von «Kinder schützen – jetzt!» ergänzt.

RS: Regierungsrätin Steiner
TZ: TeleZüri’s Oliver Steffen
KSJ: Entgegnung von «Kinder schützen – jetzt!»

Einleitung

TZ: «Der Kanton Zürich zwingt jetzt auch 1. bis 3.-Klässler unter die Maske. Alle anderen Massnahmen bleiben weiterhin freiwillig, also regelmässige Tests oder auch die Kontrolle der Luftqualität. Dies, obwohl jeder 5. Corona-Fall im Kanton Zürich ein Kind ist zwischen 4 und 11 Jahren. Macht der Kanton Zürich genug, oder macht er vielleicht sogar zuviel?»

KSJ: Liebes TeleZüri: «Unter die Maske zwingen» ist keine hilfreiche Formulierung, wenn es darum geht, Menschen die Wirksamkeit und den epidemiologischen Nutzen von Masken zu erklären.

TZ: «Jeden Tag werden alleine im Kanton Zürich «plus minus» 300 Kinder zwischen 4 und 11 Jahren positiv getestet. Ist das für Sie ok?»

RS: «Nein, ist für mich natürlich nicht ok. Es ist gut, dass wir es merken, denn wir testen im Moment extrem viele Kinder, und dadurch, dass man dies merkt, kann man allenfalls die Infektionsketten unterbrechen.»

KSJ: Stand 10. 11. 2021 sind es im Schnitt 320 Neuinfektionen/Tag im Alter 4 bis 11 Jahre (Abbildung 1).

Repetitive Tests und die Freiwilligkeit

TZ: «Repetitive Tests im Kanton Zürich sind weiterhin freiwillig – ca. ein Drittel der Schulen machen nicht mit.»

RS: «Ich habe immer gesagt, ich möchte die Schulen nicht verpflichten, weil es ganz wichtig ist, dass sie hinter dieser Massnahme stehen.»

KSJ: Die Inzidenzen im Schulalter nehmen seit den Herbstferien exponentiell zu, und die Gesamtinzidenzen sind viel höher in Gemeinden, die nicht repetitiv testen. Bei einer so ungünstigen Entwicklung ist die Freiwilligkeit eines Angebots durch die Schulen das völlig falsche Signal an Gemeinden und Bevölkerung, denn das präventive Reihentesten ist ja eine anerkannt wirksame Massnahme zur Früherkennung und Isolierung von Infektionen. Als Erziehungsdirektorin des Kantons waren und sind Sie für die Einhaltung der Obhutspflicht der Schulen verantwortlich, d.h. Sie müssen Kinder vor Gefährdungen schützen. Sie können Ihre Verantwortung dafür nicht an die einzelnen Schulen delegieren. Dies bedeutet konkret, dass Sie angemessene Schutzmassnahmen an den Schulen anordnen und insbesondere deren Einhaltung in allen Gemeinden und Schulen sicherstellen müssen. Es kann nicht sein, dass der Schutz der Kinder von der Postleitzahl bzw. von Lokalpolitik in den Gemeinden abhängt.

TZ: «Man könnte auch sagen, zwei Drittel beweisen, dass es geht. Dann könnte man auch das letzte Drittel verpflichten (…).»

RS: «So funktioniert die Schule nicht. Die Lehrpersonen, die Schulleitungen müssen die Eltern davon überzeugen, dass sie mitmachen beim Testen. Ich könnte ja höchstens den Schulen befehlen, dass sie es anbieten, aber das Mitmachen ist immer noch freiwillig. Hier beginnt die Arbeit der Schulen, wo sie Überzeugungsarbeit leisten müssen.»

KSJ: Nein, Frau Regierungsrätin Steiner, als verantwortliche Erziehungsdirektorin des Kantons Zürich und als Präsidentin der EDK, welche stets die «Kompetenz» der Kantone bei den Massnahmen an den Schulen betont, ist es Ihre Pflicht, nicht nur angemessene Schutzmassnahmen anzuordnen, sondern dafür auch die notwendige Überzeugungsarbeit leisten, insbesondere bei denjenigen Gemeinden, welche sich mit Massnahmen schwertun.

RS: «Wenn Sie die Schulen verpflichten und es machen nur 30% mit, dann ist das nicht aussagekräftig – so bringt diese Testerei dann einfach nichts.»

TZ: «Gibt es denn solche Fälle?»

RS: «Ja, es gibt Orte in diesem Kanton, wo die kritische Haltung gegenüber allen Massnahmen, insbesondere auch gegenüber diesem Testen sehr gross ist. Ich bekomme auch regelmässig Briefe von Eltern, die mir «verbieten», dass ihre Kinder in der Schule getestet werden. Ja, da gibt es zum Teil recht grossen Widerstand. Dieser Widerstand kommt ja nicht direkt auf mich, sondern auf die Schulen, die das Testen anbieten müssen. Also müssen diese gut vorbereitet sein und sich auf dieses Testen einstellen können.»

KSJ: Wenn Sie es den Gemeinden überlassen, ob sie ein Angebot bereitstellen wollen oder nicht, transportieren Sie damit eine Botschaft, dass das repetitive Testen wohl nicht besonders wichtig oder wirksam sei. Damit fördern Sie geradezu den Widerstand. Es liegt jedoch in Ihrer Verantwortung, auch in diesen Gemeinden für ausreichenden Schutz der Kinder zu sorgen. Dabei ist es völlig irrelevant, ob es dort mehr Massnahmenkritiker gibt.

Entwicklung der epidemiologischen Lage und Kapazitätsgrenzen

TZ: «Sie haben gar keine Kapazitäten für diese Tests. Es gibt jetzt schon Eltern, die sagen, «wir warten viel zu lange auf diese Resultate». Da haben wir es verschlafen, genügend Kapazitäten aufzubauen im Kanton Zürich?»

RS: «Nein, ich glaube nicht. (…) Im Kanton Zürich werden etwa 140’000 Tests pro Woche durchgeführt und nachher etwa 60’000 aus den repetitiven Tests folgende PCR-Tests für die Gegenprobe [Anm. der Redaktion: Individualtests für die Poolauflösung]. Poolauflösungen sind sehr aufwändig, da sind wir jetzt etwa bei einer Zahl von 60’000.»

KSJ: 140’000 Tests pro Woche für das repetitive Testen entspricht 14’000 Pooltests bzw. ca. 7’000 Klassen, die wöchentlich getestet werden. 60’000 Individualtests für Poolauflösungen bedeutet, dass ca. 6’000 Pools positiv waren, d.h. 6’000 von 14’000 Pooltests oder ca. 43% der Pools waren positiv. Das ist ein enorm hoher Anteil!

KSJ: Man hat es nicht verschlafen, genügend Kapazitäten aufzubauen, sondern hat es verpasst, mit geeigneten Schutzmassnahmen das exponentielle Wachstum zu brechen!

RS: «Ich glaube, wir sind nicht auf einem schlechten Weg, aber ich muss sagen, perfekt läuft dies nicht.»

TZ: «Höre ich hier ein wenig Selbstkritik? Vielleicht hätte man auch als Kanton etwas früher antizipieren müssen? Im Herbst kommt nochmals eine Welle, und wenn es ganz viele Tests gibt an Schulen, dann haben wir zu wenig Kapazität?»

RS: «Das sind ja private Anbieter, welche diese Tests auflösen. Wir sind mit diesen immer daran, das System hochzufahren. Von daher haben wir dies sicher antizipiert. Wir sind dran seit März, die Schulen auf dies vorzubereiten, und jetzt ist es einfach so, dass so viele mitmachen, dass man vom Erfolg fast eingeholt wird.»

KSJ: Kann man das exponentielle Wachstum der Ansteckungen im Schulalter (siehe Abbildungen 1 und 2) ernsthaft als Erfolg bezeichnen? – Mit Prävention, d.h. mit einem angemessenen Schutz- und Testkonzept, wie es «Kinder schützen – jetzt!» den Kantonen im Brief vom 14. Oktober 2021 vorgeschlagen hatte, hätte man den grössten Teil der aktuell 60’000 Individualtests pro Woche einsparen können. Vergleicht man nämlich den Aufwand für die Pooltests (14’000 PCR-Pooltests pro Woche) mit demjenigen für deren Auflösung bei hoher Inzidenz (60’000 PCR-Individualtests pro Woche), dann ist es offensichtlich: Möglichst Covid-freie Schulen wären nicht nur gesünder und billiger durch Vermeidung gesundheitlicher Folgekosten, sondern auch deutlich nachhaltiger und billiger in Bezug auf die benötigten Laborressourcen.

KSJ: Aktuell werden für repetitives Testen 1x/Woche bei hoher Inzidenz 74’000 PCR-Tests pro Woche benötigt. Bei niedriger Inzidenz könnte man 2x/Woche repetitiv testen (28’000 PCR-Pooltests pro Woche). Für das Depooling bei einer Positivitätsrate von 1% kämen lediglich noch 2’800 PCR-Einzeltests/Woche dazu. Der Gesamtaufwand für repetitives Testen 2x/Woche bei niedriger Inzidenz wäre mit 30’800 PCR-Tests pro Woche nur 42% des aktuellen Aufwands.

Corona-Welle an Schulen:
COVID-19 Fallzahlen, Kinder und Jugendliche, Kanton Zürich
Abb. 1: Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen nach Alter (7-Tage-Mittelwert), Kanton Zürich
Corona-Welle an Schulen:
COVID-19 Inzidenz pro 100'000 Einwohner nach Alter, Kanton Zürich
Abb.2: Inzidenz pro 100’000 Einwohner nach Alter (7-Tage-Mittelwert), Kanton Zürich

Masken nach den Weihnachtsferien

TZ: «Der Kanton Zürich reagiert. Nach den Weihnachtsferien kommt die Maske für 1. bis 3.-Klässler. Die Kantone Zug und Luzern haben dies schon länger. Hätte man im Kanton Zürich auch schon früher machen können!»

RS: «Das war für mich immer ein Tabu. Ich finde, bei kleinen Kindern ist es pädagogisch extrem wichtig, dass man sich non-verbal äussern kann, dass man die Lippenbewegungen sieht. Das sagen mir auch alle Spezialisten aus dem Schulfeld.»

KSJ: Wenn man den Kindern erklärt, dass Masken helfen, Krankheit zu vermeiden, dann verstehen sie den Sinn. Die Zürcher Kinder- und Jugendpsychiaterin Susanne Walitza sagt zum Maskentragen oder Testen

Kinder und Jugendliche merken, dass sie einen Beitrag leisten können und nicht nur ausgeliefert sind. Das ist ihnen meist wichtiger als Freiheit.

Susanne Walitza, Kinder- und Jugendpsychiaterin, Tages-Anzeiger, 13. 12. 2021

Schon kleine Kinder sind hilfsbereit, und wenn sie richtig angeleitet werden, können sie auch gut mit Masken umgehen. Wir wissen dies aufgrund praktischer Erfahrungen von verantwortungsbewussten Eltern, die in diesem Gebiet Spezialisten sind. Zudem gilt es, die moderaten Einschränkungen, die durch das Tragen einer Maske entstehen, den gravierenden Einschränkungen gegenüberzustellen, die bei Erkrankung von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Grosseltern entstehen können.

Das Feigenblatt der Verhältnismässigkeit

TZ: «Sie haben gesagt, dies sei für Sie ein Tabu gewesen. Ist Ihnen denn dies vom Gesamtregierungsrat aufgedrückt worden?»

RS: «Nein, nein, aber ich glaube einfach, wenn man in der Verantwortung steht und solche Massnahmen anordnen muss, welche alle treffen, muss man sich das sehr gut überlegen. Ich bin dem Verhältnismässigkeitsprinzip verpflichtet genauso wie meine Gspänli im Regierungsrat. Das heisst eben, dass wir immer nur so viel wie nötig anordnen und so wenig wie möglich. Wenn es uns gelingt, so das Virus im Zaum zu halten, dann ist das super, aber wenn halt die Zahlen wieder steigen, dann muss man wieder gegen oben anpassen.»

Faktencheck zu Epidemiologie, nahen Kontakten und Quarantäne

KSJ: Wie gut ist es denn gelungen, «das Virus im Zaum zu halten»? – Die Inzidenz im Schulalter nimmt seit den Herbstferien exponentiell zu. Wie Abbildung 1 zeigt, ist Stand 10. 12. 2021 die mittlere Anzahl Neuinfektionen/Tag in der Altersgruppe 4-11 (8 Altersjahre) mit 320 am grössten, etwa doppelt so gross wie die Summe der Anzahl Neuinfektionen/Tag in den Altersgruppen 12-15 und 16-19 (total ebenfalls 8 Altersjahre), nämlich 110 + 55 = 165. Die über alle Altersgruppen von 0-19 summierte Anzahl Neuinfektionen/Tag ist 505; dies sind 35% von 1435, der aktuellen Gesamtzahl von Neuinfektionen/Tag im Kanton. Abbildung 2 zeigt den Vergleich über alle Altersguppen. Die Inzidenz pro 100’000 Einwohner in der Altersgruppe 0-19 ist auf rekordhohe 170 Neuinfektionen pro Tag im Wochenmittel oder 1190 Neuinfektionen pro Woche gestiegen. Auch bei den Altersgruppen der Eltern ist eine starke Zunahme der Inzidenz zu erkennen.

KSJ: Sie hätten schon lange mit der Maskenpflicht eingreifen müssen, insbesondere bei Kindern unter 12 Jahren. Es ist keine gute Idee, Kinder bei einem positiven Pool ohne Kontaktquarantäne und dafür mit Maske weiterhin zur Schule zu schicken, bis der Pool nach etlichen Tagen endlich aufgelöst ist. Präsenzunterricht in Gegenwart möglicherweise positiver Personen (Kinder/Lehrperson) bringt wegen der leichten Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 durch Aerosole ein hohes, mit der Expositionszeit zunehmendes Infektionsrisiko mit sich, auch wenn alle Schülerinnen und Schüler Maske tragen. Dies insbesondere dann, wenn ungenügend gelüftet wird und keine HEPA-Luftfilter zur Anwendung kommen.

KSJ: Die gängige Praxis, Präsenzunterricht in Gegenwart einer positiven Person nicht als nahen Kontakt zu werten, führt dazu, dass Mitschüler:innen und Eltern nicht rechtzeitig gewarnt werden und erhöht die Risiken für alle Beteiligten durch die resultierende Vermeidung von Kontaktquarantänen. Letztlich führt diese Praxis zu grossen Ausbrüchen, Klassenquarantänen und Schulschliessungen. Wir fordern deshalb eine wissenschaftsbasierte Anpassung der Definition eines nahen Kontakts im Schulkontext und die entsprechende, konsequente Umsetzung der präventiven Kontaktquarantäne.

Kombinieren von Massnahmen

TZ: «Eine Verständnisfrage habe ich schon dazu. Jetzt macht man Pooltests, und gleichzeitig macht man noch Masken. Ist das wirklich nötig, geht es nicht zu weit?»

KSJ: Angesichts der explodierenden Fallzahlen eine völlig deplatzierte Suggestivfrage – man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese abgesprochen war. Selbstverständlich ist beides nötig: Masken halten das Virus von den Kindern fern, und Pooltests dienen der Früherkennung von Fällen, wenn es trotz Schutzmassnahmen zu Infektionen kommt.

RS: «Ja, diese Frage haben wir uns natürlich auch gestellt. Ich glaube nicht, dass Pooltests einen absoluten Schutz bieten vor Infektionen. Den besseren Schutz bieten sicher die Masken, weil so die Übertragung des Virus verhindert werden kann. Mit den Tests entdecken wir vor allem Fälle, die asymptomatisch sind (…). Darum ist beides zusammen eine gute Massnahme.»

KSJ: Es hat doch nie jemand behauptet, Pooltests würden einen absoluten Schutz bieten. Im Gegenteil, keine Schutzmassnahme ist perfekt, und deshalb ist ja das Kombinieren von Massnahmen im Käsemodell so wichtig, das wir Ihnen am 14. Oktober 2021 zugestellt hatten. Zudem: Wenn doch beides zusammen eine gute Massnahme ist, weshalb haben Sie diese nicht gleich nach den Herbstferien angeordnet?

RS: «Natürlich kann man immer darüber streiten, ob es jetzt zuviel ist. Es wird sehr viele Eltern geben, die nicht damit einverstanden sind, dass ihre Erstklässler eine Maske tragen müssen, aber ich hoffe, dass wir diese Massnahme nach drei Wochen wieder werden aufheben können.»

KSJ: Angesichts der hohen Infektionsrisiken für Schülerinnen und Schüler diskreditieren Sie sich mit einer solchen Aussage. Die Wissenschaft warnt gerade vor der viel höheren Infektiosität von Omikron, welche eine noch unkontrolliertere Durchseuchung der Kinder verursachen kann – in Worten, die deutlicher nicht sein könnten.

TZ: «Sie hoffen es, aber Sie versprechen es nicht?»

RS: «Ich kann dies nicht versprechen, weil wir immer entscheiden aufgrund der epidemiologischen Lage (…).»

KSJ: Wollen Sie ernsthaft behaupten, Sie hätten seit den Herbstferien irgendwann die sich ständig verschlechternde epidemiologische Lage berücksichtigt?

KSJ: Wollen Sie ernsthaft behaupten, Sie hätten die seit den Herbstferien sich ständig verschlechternde epidemiologische Lage an den Schulen auch nur annähernd adäquat berücksichtigt?

Schutzkonzepte und Mindeststandard

TZ: «Der Taskforce-Vize, Urs Karrer, hat die Kantone und die Schulen aufgefordert – ich zitiere – «ungenügende Schutzkonzepte zu überarbeiten». Fühlen Sie sich da auch angesprochen?»

RS: «Also er meint wohl die Schutzkonzepte in den Schulen. Die Schulen sind alle immer aufgefordert, ihre Schutzkonzepte dauernd zu überprüfen.»

KSJ: Nein, primär sind Sie hier angesprochen, Frau Steiner!

TZ: «Sind sie [Anm. der Redaktion: die Schutzkonzepte] genügend gut im Kanton Zürich?»

RS: «Ja, ich glaube, wir haben wirklich einen Mindeststandard vorgegeben. (…) Wo sind welche Kinder zusammen, wo muss man eine Maske tragen, wie ist es mit der Hygiene und den Abstandsvorschriften. Diese Vorgaben sind da. Wenn Herr Karrer irgendeinen Fall kennt, wo es nicht ideal läuft, dann müsste er diesen melden. Die Schulen sind aufgefordert – und meines Wissens machen sie dies auch – ihre Schutzkonzepte dauernd zu überprüfen, «öb die na verhebed» [Anm. der Redaktion: ob diese noch ausreichen] und ob sie vor allem befolgt werden.»

KSJ: So etwas kann man nicht Mindeststandard nennen – die Vorgaben des Kantons sind so löchrig wie ein Emmentaler Käse. Die grössten Löcher: Verzicht auf Maskenpflicht (insbesondere bei den Jüngsten), Freiwilligkeit des Pooltest-Angebots, Freiwilligkeit der Teilnahme am Pooltesten, Pooltesten nur 1x/Woche reicht nicht (2x/Woche wäre adäquat in Kombination mit Maskenpflicht, 3x/Woche ohne Maskenpflicht), Aushöhlung der Kontaktquarantäne, Verzicht auf eine Anordnung zur Beschaffung von HEPA-Luftfiltern, Verzicht auf eine Anordnung zur Beschaffung von CO2-Messgeräten.

Aufgefordert, diese Vorgaben zu überprüfen, sind nicht die Schulen, sondern Sie, Frau Steiner!

Luftqualität

TZ: «Das hat System im Kanton Zürich. Die Schulen sind aufgefordert, aber sie müssen nicht unbedingt. Zum Beispiel bei der Luftqualität. Auch da fordert der Lehrerinnen- und Lehrerverband des Kanton Zürich klare Vorgaben. Es gibt nur eine Empfehlung. Auch da zögern Sie!»

RS: «Nein, das Schutzkonzept ist ganz klar eine Vorgabe, welche die Schulen einhalten müssen. (…)»

KSJ: Wie sollen die Schulen im Winter für saubere Luft sorgen, wenn Kinder und Lehrpersonen vom Lüften frieren und keine Luftfilter vorhanden sind?

TZ: «Aber es gibt keine Pflicht, es gibt keinen CO2-Richtwert, wo Sie sagen, ab dann muss gelüftet werden. Es gibt jetzt eine Studie – Kanton Graubünden hat diese gemacht zusammen mit der EMPA. 60% der Klassenzimmer haben eine zu schlechte Luft. Je schlechter die Luft, desto mehr Corona-Fälle in der Klasse. Reicht dies nicht, zu sagen, wir brauchen einen Grenzwert, der verpflichtend ist?»

RS: «Der Grenzwert ist «klar» – wenn die Luft dick ist, dann lüftet man.»

TZ: «Aber 60% im Kanton Graubünden machen das nicht, (…) lüften zu wenig.»

RS: «Das mag so sein. Ich kenne die Situation im Kanton Graubünden nicht. Die Frage ist mehr, wie finden die Lehrpersonen heraus, dass dicke Luft ist (…). Es gibt da x Möglichkeiten. Ich glaube, sehr viele Schulen haben dieses CO2-Messgerät. (…)»

KSJ: Es ist so. Das ist ja genau ein Resultat der Studie. Und die Lehrpersonen und Schüler:innen im Kanton Zürich sind vermutlich nicht kälteresistenter als im Bündnerland. Also hat der Kanton Zürich sehr wahrscheinlich das exakt gleiche Problem. Zudem zeigt diese Studie eine starke Korrelation zwischen kumulativer CO2-Konzentration und der Anzahl Infektionen pro 100 Schüler. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass COVID-19 und auch andere Atemwegsinfektionen vorwiegend durch virenbeladene Aerosole über die Luft verbreitet und übertragen werden: Covid Is Airborne!

KSJ: Zu sagen «Wenn die Luft dick ist, dann lüftet man» und zu glauben, dass viele Schulen ein CO2-Messgerät hätten, reicht nicht. Wir erwarten von Ihnen und der EDK endlich eine offizielle Anerkennung der Aerosol-Problematik, eine rasche Bestandesaufnahme und klare Direktiven für saubere Luft in den Schulzimmern, inklusive Vorgaben für die Beschaffung von CO2-Messgeräten und HEPA-Luftfiltern.

Weihnachten – Wie steht es mit vorbeugenden Massnahmen?

RS [Anm. der Redaktion: Zur Einführung der Maskenpflicht erst nach den Weihnachtsferien]: «Wir wollten, dass sich die Schulen vorbereiten können auf die Zeit nach den Ferien, weil diese sehr unmittelbar nach den Festtagen ist. Das bedeutet, dass wir 250’000 Masken besorgen müssen. Die Zeit bis zu den Weihnachtsferien können wir nutzen, dass diese gut in den Schulhäusern verteilt sind und sich die Schulen gut auf die Zeit nach den Ferien vorbereiten können.»

KSJ: Die Bildungsdirektionen haben mit ihrem Laisser-faire zugelassen, dass die Schulen zu Corona-Drehscheiben wurden und sind mitverantwortlich für die miserable epidemiologische Lage. Es macht NULL Sinn, mit einer Maskenpflicht auf allen Stufen bis im Januar zuzuwarten.

TZ: «Also da sehen Sie kein Problem, auch wenn ja nachher [Anm. der Redaktion: demnächst] die Festtage sind, bei denen viele Kinder Ältere wieder treffen, die vielleicht noch keine Booster-Impfung haben oder gar nicht geimpft sind? – Da hätte man doch dem vorbeugen können!? – Oder sagen Sie «Selbstverantwortung»?»

RS: «Nein, ich glaube nicht, dass man dem hätte vorbeugen können, weil irgendwann werden diese Kinder ihr Umfeld wieder treffen – ihr privates Umfeld – und dort können wir die Ansteckungen nicht ausschliessen. Wir können die Probleme in den Schulen nicht lösen, die sich ergeben durch private Kontakte oder durch das Freizeitverhalten von Eltern, Kindern und Familie. (…)»

KSJ: Sie versuchen, sich Ihrer Verantwortung zu entziehen, indem Sie auf Ansteckungen im privaten Umfeld verweisen – angesichts der explosionsartigen Ausbrüche an den Primarschulen und der rekordhohen Inzidenzen im Schulalter ein völlig unangebrachtes Ablenkungsmanöver.

KSJ: Bereits am 7. Oktober via E-Mail an Sie und am 14. Oktober 2021 in unserem Brief an die Kantone, die EDK und die GDK forderten wir einen nationalen Mindeststandard für die obligatorischen Schulen und unterbreiteten Ihnen als Vorschlag unser wissenschaftsbasiertes Schutz- und Testkonzept für eine sichere Volksschule, welches mehr Schutz ermöglicht und die offensichtlichen Lücken und Schlupflöcher in der Prävention behoben hätte. In Ihrer Antwort als Präsidentin der EDK (siehe Abbildung 3) schrieben Sie am 26. Oktober 2021

Das oberste Ziel, das die EDK (…) verfolgt, ist die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts und die Anstrengung, die Schulen als sicheren Ort zu gestalten.

Schreiben der EDK vom 26. Oktober 2021 (siehe Abb. 3)

was angesichts der katastrophalen Entwicklung der letzten Wochen nicht weiter kommentiert werden muss.

Antwort der EDK auf die Forderung nach einem schweizweiten Mindeststandard
Abb. 3: Antwortbrief der EDK vom 26. 10. 2021

KSJ: Zudem wiesen Sie unsere Forderung nach einem schweizweiten Mindeststandard zurück mit dem Verweis auf die «Wahrung des Verfassungsprinzips der Verhältnismässigkeit». Doch gemäss Epidemien-Gesetz (EpG) Art. 30 (Grundsatz der Verhältnismässigkeit) mussten und müssen die Bedingungen für verpflichtende Massnahmen gegenüber einzelnen Personen wie Maskentragen und repetitives Testen beim hochansteckenden SARS-CoV-2-Virus als erfüllt betrachtet werden:

  • Art. 30 a: Die weniger einschneidenden, seit den Herbstferien im Kanton Zürich geltenden Massnahmen reichen offenbar nicht aus, das exponentielle Wachstum der Infektionen zu verhindern.
  • Art. 30 b: Das Tragen von Masken wie auch das repetitive Testen wendet eine Gefahr für die Gesundheit Dritter ab, insbesondere für Schülerinnen und Schüler (SuS) die Risiken einer COVID-19 Erkrankung einschliesslich Long Covid, sowie für Familienangehörige die Risiken, die bei Ansteckungen von SuS während des obligatorischen Schulunterrichts für sie entstehen.

KSJ: Weiter begründeten Sie die Ablehnung einheitlicher Mindestvorgaben mit der «lokal sehr unterschiedlichen pandemischen Situation». Selbstverständlich gibt es in städtischen und ländlichen Regionen unterschiedliche logistische Herausforderungen. Aber die regional viel höheren Inzidenzen, insbesondere in der Ostschweiz und der Zentralschweiz, sind vor allem darauf zurückzuführen, dass die jeweiligen Gemeinden oder Kantone wenig bis gar keine Schutzmassnahmen an den Schulen getroffen haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Fallzahlen stark mit der Lokalpolitik korrelieren, sowohl im Kanton Zürich von Gemeinde zu Gemeinde als auch im ganzen Land von Kanton zu Kanton.

KSJ: Genau hier lag und liegt Ihre Verantwortung als Erziehungsdirektorin des Kantons Zürich, nämlich anzuordnen, dass ALLE Schulgemeinden einen wirksamen Minimalstandard gegen COVID-19 einhalten müssen, mit repetitivem Testen 2x/Woche, Maskenpflicht auf allen Stufen und Schutz gegen Aerosole mit den notwendigen technischen Hilfsmitteln.

Normalisierung, Relativierung, Verharmlosung

RS: «Ich glaube, es ist wichtig, dass die Kinder auch einen Rahmen haben, in dem sie noch einigermassen normal funktionieren und das Leben auch wenig geniessen können. Mich dünkt, dass man jetzt alles auf ihrem Buckel lösen möchte, das finde ich «e chli schwierig».»

KSJ: Wir haben in diesen Tagen wohl alle realisiert, dass die Normalisierung ein jähes Ende gefunden hat.

TZ: «Man hat aber das Gefühl, es ist alles auf ihrem Buckel. Seit Anfang der Pandemie sind in der ganzen Schweiz drei Menschen unter zwanzig an Corona gestorben. In den Spitälern waren an absoluten Spitzentagen in der ganzen Schweiz fünfzehn 0-9-jährige. Da könnte man einfach sagen, eigentlich betrifft es die Kinder gar nicht – man könnte ganz normal zur Schule gehen?»

RS: «Ja, das ist schon so – es betrifft sie «nöd fescht» [stark].»

KSJ: Völlig unnötige, tendenziöse Aussagen, offensichtlich inspiriert von Pädiatrie Schweiz. Hat der Moderator bzw. Frau Steiner eine Ahnung, was dies auslöst in Familien mit einem von Long Covid betroffenen Kind?

RS: «Wir wissen einfach nicht, wie sich das Virus nachher weiterverbreitet.»

KSJ: Wie bitte? – Diese gespielte Unwissenheit ist einfach nicht zu fassen! Das Virus wird über die Corona-Drehscheibe Schule von Familie zu Familie getragen! Die Schule ist der Multiplikator!

RS: Und dann steht natürlich immer noch das «Schreckensgespenst» Long Covid im Raum, bei dem wir auch nicht wissen, ob und wieviele Kinder davon betroffen sind.»

KSJ: Vorzugeben, man wisse nicht, ob und wieviele Kinder von Long Covid betroffen sind, ist eine unglaubliche Verharmlosung. Seit Monaten sind zahlreiche gute Studien zu Long Covid bzw. Post-Covid-19 bei Kindern verfügbar. In der Schweiz rechnen Experten wie Milo Puhan vom USZ bei den Kindern mit einer Häufigkeit von mindestens 3%, während eine britische Studie bei Kindern zwischen 2 und 11 Jahren eine Häufigkeit von 9.8% fand.

Durchseuchung

RS: «Ich glaube, dass diese «Durchseuchungstheorie» eine ganz gefährliche ist.»

KSJ: Die Durchseuchung in den Schulen ist nicht Theorie, sondern traurige Realität, insbesondere für diejenigen Kinder, die sich nicht rechtzeitig mit einer Impfung schützen können und als Folge Long Covid erleiden. Und gefährlich ist insbesondere deren Verharmlosung.

RS: «Es wird sicher irgendwann einmal so sein, dass jedes Schulkind im Kanton Zürich in irgendeiner Form mit diesem Corona-Virus in Kontakt gekommen ist, aber es sollte einfach nicht so sein, dass dies alle auf’s Mal haben.»

RS: Uns ist es ein Anliegen, dass wir die Kinder schützen können, dass sie nicht alle in Quarantäne [gehen] müssen, gleichzeitig, oder dass sie mehrfach in Quarantäne [gehen] müssen, sondern dass sie einen möglichst guten und normalen Schulalltag geniessen können.

KSJ: Frau Steiner, Kinder schützen zu wollen und im Schulkontext auf die Kontaktquarantäne zu verzichten passt bei SARS-CoV-2 nicht zusammen, solange nicht der grösste Teil der Kinder mit sauberer Luft und/oder einer Impfung geschützt ist. Möglicherweise ist der Verzicht auf Kontaktquarantäne auch später keine gute Idee, da wir bei immun-evasiven Varianten mit häufigeren Reinfektionen rechnen müssen. Die Situation an den Schulen mit den explodierenden Delta-Fallzahlen und der bereits zirkulierenden, nochmals ansteckenderen Omikron-Variante ist untragbar für Kinder und Familien! – Es ist für uns nicht nachvollziehbar, was Sie uns hier vom Geniessen eines guten und normalen Schulalltags erzählen.

Psychologie

[Anmerkung der Redaktion: Der letzte Teil des Interviews wird später vervollständigt.]